Biomechanik

Biomechanische Gutachten befassen sich mit den Verletzungen bei Verkehrsunfällen aus technischer Sicht (nicht aus medizinischer).
Hier wird durch Berechnung der kollisionsbedingt auf das Fahrzeug und die Insassen einwirkenden Kräfte und Beschleunigungen überprüft, ob die von Insassen nach Verkehrsunfällen vorgetragenen Verletzungen im Hinblick auf die Belastungsgrenzen des menschlichen Körpers plausibel sind (meist sogenannte HWS-Verletzungen).

Es ist deshalb hier zunächst zu klären, mit welcher Größe und aus welcher Richtung Beschleunigungen und Kräfte auf das Fahrzeug und die Insassen einwirkten. Daraus wiederum kann abgeleitet werden, welche Relativbewegung im Fahrzeug von den Insassen ausgeführt wurde. Bei kollisionsbedingter Verformung der Fahrgastzelle sind neben den kollisionsbedingt eingeleiteten Kräften in das Fahrzeug auch direkte Berührkontakte durch Verformungen etc. zu rekonstruieren.

Biomechanische Gutachten sind auch geeignet, z. B. nach einem Fahrzeugüberschlag zu rekonstrukieren, ob Insassen im Fahrzeug den Sicherheitsgurt angelegt hatten. Auch ist eine Rekonstruktion der Sitzposition im Fahrzeug (bei herausgeschleuderten Insassen) durch Auswertung der Insassenbelastung in Verbindung mit einer Untersuchung der Fahrgastzelle möglich.

Durch Verwendung von modernsten Unfallsimulationsprogrammen können Unfallabläufe nachträglich rekonstruiert werden.

Insassenbewegung / Insassenbelastung

Ermittlung der Belastungsgrenzen von Insassen nach Unfällen, Rekonstruktion von Sitzpositionen: je nach Kollisionstyp wirken auf Insassen die Kräfte aus unterschiedlichen Richtungen ein.

Bei Frontalanstößen wirkt die kollisionsbedingte Beschleunigungskraft grundsätzlich von vorne. Bei schiefwinkligen Frontanstößen ist sowohl die frontale, als auch die von seitlich einwirkende Kraftkomponente zu beurteilen. Je nach Sitzposition im Fahrzeug und Abstand zum Crashzentrum ergeben sich unterschiedliche Insassenbelastungen, die bei Frontalanstößen allerdings durch Rückhaltesysteme (Sicherheitsgurte, Airbags) kompensiert werden.

Bei Heckanstößen wirkt die Beschleunigungskraft von hinten auf die Insassen ein. Der Oberkörper wird dabei an die Rücklehne des jeweiligen Sitzes gedrückt. Aufgrund der Massenträgheit kommt es zeitlich versetzt erst nach ca. 1/10 Sekunde zu der rückwärts gerichteten Kopfbewegung. Dabei soll die Kopfstütze ein übermäßiges Abknicken des Kopfes nach hinten verhindern.
Sogenannte aktive Kopfstützen, wie sie bereits bei einzelnen neuen Fahrzeugtypen verbaut werden, sollen dabei wirksam das Auftreten von Verletzungen an der Halswirbelsäule (HWS) verhindern.

Bei Seitenkollisionen bewegt sich der Insasse jeweils zu der Seite hin, von der der Anstoß erfolgt. Bei einer Seitenkollision links wird beispielsweise der Fahrer in seinem Sitz in Richtung zur Innenverkleidung der Fahrertüre bewegen und gleichzeitig der Kopf in Richtung zur Türscheibe bzw. bei niedrigen Fahrzeugen zum Türrahmen bewegt.

Bei Überschlägen (Rollover), die meistens um die Längsachse des Fahrzeuges erfolgen, liegt in der Regel ein wesentlich niedrigeres Belastungsniveau für die Insassen vor, als dies bei mittelstarken Front- oder Heckaufprallsituationen der Fall ist. Bei angegurteten Insassen bestehen hier grundsätzlich gute Chancen, den Überschlag mit relativ geringem Verletzungsrisiko zu überstehen. Grundsätzlich anders verhält sich hier die Insassenbewegung, wenn der Sicherheitsgurt nicht angelegt war. Hier wird regelmäßig beobachtet, dass Insassen aufgrund der auftretenden Beschleunigungen während des Überschlags aus dem Fahrzeug geschleudert werden und schwerste bis tödliche Verletzungen erleiden.

Im Rahmen von biomechanischen Gutachten ist hier regelmäßig zu klären, ob bei aus dem Fahrzeug heraus geschleuderten Insassen zum Unfallzeitpunkt der Sicherheitsgurt angelegt war und ob beim Anlegen des Sicherheitsgurtes ein Herausschleudern des Insassen während der Überschlagsphase unterblieben wäre.